Zeugenaussage von Harry Bach, einem der sechs Bootsbauer der Ormen Friske

Bestandteil einer Reportage von Sven Broman mit dem Titel "'Ormen Friske' war ein Pfuschwerk!", erschienen in der in Schweden weit verbreiteten Zeitschrift "Teknikens Värld" (Welt der Technik) Nr. 13, 1950, S. 8-9 u. 31. Der Teil mit Bachs Aussagen wird hier in vollem Wortlaut zitiert (Übersetzung M. Braun).

"Ormen Friske" war ein Pfuschwerk!

Ein dänischer Bootsbauer, der beim Bau der "Ormen Friske" von Anfang an dabei war, enthüllt erstaunliche Mängel in deren Konstruktion. Das war kein Wikingerschiff!

Ich war als einer der ausführenden Bootsbauer beim Bau der "Ormen Friske" vom ersten bis zum letzten Tag mit dabei, und auch als wir sie zu Wasser ließen und dann zur Sportausstellung nach Stockholm segelten. Ich kenne also ihre Mängel wirklich. Und Mängel hatte sie! Ich warnte sicher hundert Mal vor der großen Unternehmung, die dann so katastrophal endete. "Ormen" war eine Theaterkulisse und, wenn's es hoch kommt, geeignet für Segeltouren in der Bucht von Djurgårdsbrunn (im Stockholmer Stadtgebiet, M.B.).

Der junge dänische Bootsbauer Harry Bach berichtet offen heraus für Teknikens Värld. Er ist ausgebildeter Bootsbauer, hat nahezu fünf Jahre die Schiffsbauschule in Nyköbing in Dänemark besucht, und war unter anderem beteiligt am Bau von 11 Fischerbooten in Kopenhagen, die in der Art von Wikingerschiffen gebaut wurden. Und er hat eine Menge an technischer Fachliteratur über Wikingerschiffe studiert, die seine große Leidenschaft geworden sind.

Aber "Ormen Friske" war kein Wikingerschiff! Wäre es eins gewesen, hätte es spielend eine Reise über den Atlantik geschafft, sogar bei rauem Wetter, fährt Bach fort. "Ormen" war eine ausgezeichnete Kopie vom äußeren her, aber ein Pfuschwerk im inneren. Ich will es genauer ausführen:

1) Das Holzmaterial war mangelhaft. Die Wikinger verwendeten Eiche, wir verwendeten Kiefer - schlechte Kiefer. Sie war voller Aststellen, und wir hatten keine gekrümmt gewachsene. Man braucht besseres Material für einen einfachen Ruderkahn.

2) Die Spantenkonstruktion war vollkommen ungenügend. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, dass man gekrümmt gewachsenes Holz für die sogenannten Knie nimmt, die den Seitenwänden Halt geben. Aber nicht genug damit, daß die Knie aus Kiefer und gerade gewachsen waren. Sie waren außerdem nicht aus einem Stück, sondern geteilt, mit einer Stoßfuge in in der Mitte, was auf katastrophale Weise die Haltbarkeit der Schiffsseiten herabsetzte.

3) Die Verlegung der Rumpfplanken geschah in der Klinkerbauweise, was richtig war. Aber die Wikinger hatten an ihren Planken in der Längsrichtung einen Grat, der eine wirkungsvolle Stütze darstellte, und gleichzeitig ließen sie die Planken sich weiter einander überlappen. Alle Planken der "Ormen" waren genietet, während die Wikinger Tiersehnen, Holznägel, oder in gewissem Grad Eisennägel verwendeten. Es waren die Sehnen, die den Wikingerschiffen ihre Elastizität gaben. Und es war in diesem Punkt, wo sie den starren Schiffsrümpfen unserer heutigen Zeit voraus waren. Die Seiten der "Ormen" waren völlig steif und federten überhaupt nicht.

4) Die Bodenspanten - die auch aus Kiefer waren (es gab überhaupt keinen einzigen Eichenspan im ganzen Schiff, und die einzige Holzart außer Kiefer war Erle für die Ruderpinne!) - waren auch nicht gekrümmt gewachsen. Sie waren beim Kiel zusammengefugt, und es bestand die reelle Gefahr, daß das Schiff über dem Kiel nach links und rechts auseinder fallen konnte.

5) Das Steuerruder war ein Provisorium. Für sich genommen war es richtig gebaut, aber es war nicht so angebracht, wie es sein sollte, und schon während der Jungfernfahrt nach Stockholm streikte es. Ich war selbst dabei damals und mußte es provisorisch mit einem Bolzen reparieren und praktisch die ganze Zeit daneben stehen und es in seiner Lage halten.

6) Die Ruder waren unter aller Kritik. Sie waren aus Fichte, aber alt, übrigens ein Geschenk von der schwedischen Marine. Beim Stapellauf wollte ein Fotograf ein Bild machen von mir mit einem Ruder. Es fiel versehentlich hin und brach auseinander.

Jeder Bootsbauer weiß, daß dies wesentliche Mängel waren, die bedeuteten, daß die "Ormen" nicht als seetüchtiges Schiff bezeichnet werden konnte. Wir machten jedoch das Beste aus der Situation, und alle diese Mißstände hatten eine wirtschaftliche Ursache. Außerdem waren wir gezwungen, die Arbeit zu forcieren. Das Schiff war an und für sich gut gebaut, aber es war weit davon entfernt, für irgendwelche abenteuerlich Segeltouren geeignet zu sein - es war ein eindrucksvolles Ausstellungsboot und nichts anderes.

Nur ein solches Detail wie der Schlangenkopf über dem Bug! Hier machten es die Wikinger so, daß sie ein Loch seitlich des Stevens bohrten und den Kopf, der unterwärts eine lange Spitze hatte, hinein steckten. Dies ist von außen nicht sichtbar. "Ormens" Kopf war lose am Bug angenietet - unter anderem mit einem Scharnier (zum Umklappen bei niedrigen Durchfahrten, M.B.) - und er wurde richtig locker lange vor der Nordseefahrt. Ich fuhr raus nach Birka in den Tagen vor der Abreise, sah den lose sitzenden Kopf, und fragte, ob ich etwas Werkzeug bekommen könnte, um ihn fest zu machen. Man erklärte jedoch, daß es weder Hammer noch Nägel an Bord gab - und doch war man klar für die Abfahrt! Der Schlangenkopf musste ganz einfach so sitzen bleiben und wackeln.

Zur gleichen Zeit wies ich darauf hin, dass viele der Spanten im Vorschiff Risse hatten.

Nach der furchtbaren Katastrophe ziehen vielleicht viele die Schiffsbaukunst der Wikinger in Zweifel. Aber dies würde ich als völlig falsch ansehen. Deren Schiffe waren äußerst seetüchtig, und wir haben immer noch eine Menge von ihnen zu lernen. Man denke nur an den dänischen Schiffbauingenieur Knud E. Hansen in Kopenhagen, der eine große Menge Fischerboote mit ultramoderner Ausrüstung gebaut hat, wo nicht einmal Radar fehlte, die jedoch die Linien des Wikingerschiffes erbten und die sehr elastisch gebaut wurden. Sie wiederstehen hoher See - die Schiffsseiten biegen sich geschmeidig unter den Drücken - aber erfordern natürlich auch erfahrene Seeleute an Bord.

Wie die Katastrophe vor sich ging? Ja, ich habe eine sehr entschiedene Auffassung, wie es passiert sein muß. Ich glaube nicht, dass die "Ormen" auf irgendeinen Grund oder etwas ähnliches stieß. Dann hätte die Besatzung sich gerettet. Mein Vater war Fischer, und ich war draußen bei den kritischen Stellen auf der Nordsee und kenne die Gefahren. Nein, ich bin davon überzeugt, daß es nicht mehr bedurfte, als daß ein paar kräftige Wellen ins Boot schlugen. Als das Wasser dann von innen auf den Seiten lastete, wurden sie ganz einfach heraus gedrückt, vielleicht beide Seiten gleichzeitig. Aufgrund des schlechten Holzes und den gefährlichen Stoßfugen in den Knien entstanden äußerst bruchempfindliche Stellen in den Seiten der "Ormen", die unmöglich irgendeinem Druck standhalten konnten.

Man hätte die Sache überstehen können, indem man den Mast umgelegt hätte und ihn zwischen Bug und der mittschiffs quer über dem Boot liegenden Rah befestigt hätte. Das Segel hätte man dann darüber spannen können, so daß das Ganze wie ein Zelt geworden wäre. Aber zusätzlich hätte man dann noch einen Treibanker gebraucht, der leicht aus ein paar Rudern herzustellen war. (Hervorhebungen M. Braun)

Kommentar zur Zeugenaussage von Bach:
Die durch Pfusch beim Bau bedingte, extreme Schwachstelle im Kiel, die später in der Nordsee das Schiff in zwei Hälften auseinander brechen ließ, und die während des Baus von jedermann deutlich zu sehen war, wird in der Reportage nicht erwähnt. Möglicherweise ist sie einer Textkürzung zum Opfer gefallen, oder Harry Bach hatte sie nicht mehr so stark in Erinnerung wie die ebenfalls tödlichen Schwächen der Spanten und Knie. Letzteres wäre leicht zu erklären, da die Spantenkonstruktion während des Baus wesentlich mehr Zeit beanspruchte und ständig offen sichtbar war. Tatsächlich waren bei beiden später aufgefundenen Schiffshälften die Seitenwände mitsamt den oberen Kniehälften komplett weggebrochen, also genau an den "äußerst bruchempfindliche Stellen", wie Bach sie beschrieben hat. Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, daß die Seitenabbrüche erst nach dem Kielbruch und der Zweiteilung des Schiffes erfolgten. Lange bevor die Wellen hoch genug waren, um ins Boot zu schlagen, waren sie schon ausreichend, um die Schwachstelle im Kiel auseinander zu ziehen.
Entscheident für die versäumte Strafverfolgung der Verantwortlichen der Katastrofe wären die Aussagen Bachs gewesen, er habe beim Bau, bei der Jungfernfahrt, und vor dem Beginn der tödlichen Nordseefahrt mehrfach und ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Schiff unter keinen Umständen als seetauglich zu betrachten war.

 
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