Untergang der Ormen Friske aufgeklärt nach 54 Jahren: Konstruktions- und Baufehler im Kiel waren Todesurteil schon bei geringem Seegang

 

Ein technischer Untersuchungsbericht von Martin Braun

April 2004

 

Das schwedische Wikingerschiff Ormen Friske, ein Nachbau des berühmten Gokstadschiffes aus dem 9. Jahrhundert, geriet am 22.6.1950 auf dem Weg von der Elbe nach Rotterdam in einen Nordseesturm und brach auseinander. Alle 15 Personen der Besatzung kamen ums Leben.

Siehe auch: Boot und Besatzung zwei Tage vor dem Unglück bei der Durchfahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal: Dok 1 und Dok 2.

 
Gewidmet
den Nachfahren der Schiffsbauer und der Opfer, die ein Recht haben auf Information
und
allen gegenwärtigen und zukünftigen Vikingfahrern
 
Wikingerschiffe vom Typ Gokstad sind flache Langschiffe, die so konstruiert sind, daß sie sowohl auf hoher See als auch in flachen Binnengewässern fahren können. Bereits 1893 fuhr eine Gokstadkopie, die Viking, von Norwegen nach Chicago und New Orleans. Die norwegische Gokstadkopie Gaia von 1989 hat mehrere Atlantikfahrten hinter sich und sogar im Orkan überlebt.
Der Untergang der Ormen Friske galt bis heute als ungeklärt. Das Unglück wurde erst bemerkt, als drei Tage nach Beginn des Sturms die beiden Hauptwrackteile bei den Nordfriesischen Inseln gefunden wurden, das Achterschiff vor Pellworm (Bild oben rechts) und das Vorschiff zwischen Amrun und Sylt.
Drei mögliche Unglücksursachen wurden bislang diskutiert:
1) Auseinanderbrechen bei aufkommendem Seegang aufgrund von Baumängeln,
2) Überfahren von großem Schiff in Dunkelheit,
3) Zerschellen auf Klippen oder Brandung vor Helgoland, als Bombenübungen vor einer Einfahrt in den Helgolander Hafen abschreckten.
Zur Annahme (2) gibt es keine Spuren an den Wrackteilen, wie etwa Farbreste oder gekicktes Holz an den Bruchstellen. Annahme (3) beruht einzig und allein auf einer Zeugenaussage eines Fischers, die aus mehreren Gründen unzuverlässig ist und schon allein aus technischen Gründen ausgeschlossen werden muß (siehe unten). Annahme (1) wurde unmittelbar nach dem Unglück ausführlich in der Presse diskutiert. Sie blieb jedoch offen, da die schwedischen Behörden auf eine Havarieuntersuchung verzichteten.
Seit kurzem zugängliche Fotos, die wenige Tage nach dem Unglück von den Wrackteilen aufgenommen wurden, beweisen daß die Annahme (1) korrekt war. Sie zeigen exakt an welchen Stellen das Schiff zerbrach, und in welche Richtungen die brechenden Kräfte gewirkt hatten. Sie zeigen auch, daß die Ursache eine extreme Schwachstelle im Kiel war, die an einer äußerst empfindlichen Stelle lag, nämlich an der achterwärtigen Kante des Mastfundaments (Kielschwein). Die Schwachstelle war eindeutig durch planerische und handwerkliche Fehler beim Bau des Schiffes bedingt.
 
Die Ormen Friske wurde im Frühjahr 1949 in Stensund (40 km südwestlich von Stockholm) in der extrem kurzen Zeit von sechs Wochen (!) gebaut. Für die massiven Bauteile wurden statt naturgewachsener Stücke aus Eiche, wie im Original, Stücke aus geschichteten und verleimten Kiefernbrettern verwendet. Das 21 Meter lange Kielstück (Bilder links und unten) bestand aus acht gestapelten Brettern, die zudem nicht durchgehend, sondern mit glatten Stoßfugen gestückelt waren.
 
 
 
Bild oben: Das Vorschiff wenige Tage nach dem Unglück auf dem Hafengelände von Hörnum auf der Insel Sylt. Die Seitenwände sind abgebrochen, und die lose aufgelegten Decksplanken sind verschwunden. Die Spanten, die oft als zu schwach kritisiert wurden, und die darüber liegenden Querbalken sind jedoch unbeschädigt. Achterwärts vom Mastloch fehlen Spanten Nr. 1 und 3 auf Backbord, und Nr. 2 auf Steuerbord. Das große, lose aufliegende, Teil ist die Steuerbordhälfte des Mastfisches, der über dem Kielschwein angebracht war, dem massiven Mittenstück mit Mastloch. Das Kielschwein sitzt unmittelbar auf dem Kiel, und unter dem achterwärtigen Ende des Kielschweins sieht man das Bruchende des obersten der acht verleimten Bretter, die den Kiel bildeten.
 
 
Bild oben: Wie voriges Bild. Die lose Steuerbordhälfte des Mastfisches liegt diesmal, ähnlich der ursprünglichen Lage, oberhalb des Kielschweins. Das Bild zeigt, an welchen Stellen der Rumpf gebrochen ist:
a) Rumpfplanken Steuerbord außen: Bruchkante an Spante Nr. 1 achterwärts vom Mastloch,
b) Rumpfplanken Steuerbord innen: Bruchkante an (fehlender) Spante Nr. 2 achterwärts vom Mastloch,
c) Rumpfplanken Backbord: Bruchkante an (fehlender) Spante Nr. 3 achterwärts vom Mastloch,
d) Kiel: Bruchkante am achterwärtigen Ende des Kielschweins.
Da alle Rumpfplanken glatt an den achterseitigen Kanten der Spanten gebrochen sind, haben offenbar Knickbewegungen des Rumpfes um diese Spanten stattgefunden. Solche Bewegungen treten ständig auf, wenn das Schiff bei Sturm aus dem Wind dreht (z.B. mit Hilfe eines Treibankers) und der Seegang Vor- und Achterschiff nacheinander anhebt.
Weil man davon ausgehen kann, daß der Kiel wegen seiner extremen Schwächung an dieser Stelle zuerst gebrochen ist (nähere Ausführungen weiter unten), hatte das Schiff im Bereich der Spanten Nr. 1 bis 3 (achterwärts vom Mastloch) kein "Rückgrat" mehr. Nachfolgende Hebebewegungen mußten deshalb unvermeidlich zum Abknicken der Bordplanken an diesen Spanten führen.
 
 
Bild oben: Wie voriges Bild. Rechts oben das lose aufliegende Mastfischteil. Links daneben das achterwärtige Ende des Kielschweins. Links anschließend die Spante Nr. 2 (achterwärts vom Mastloch) der Backbordseite. Darunter, an der Unterkante des Bildes, die Bruchkante der Bordplanken an der Position der (fehlenden) Spante Nr. 3. Unter dem Kielschwein sind sieben der acht gestapelten und verleimten Bretter des Kiels zu sehen. Das unterste Brett ist nur auf dem nächsten Foto zu sehen. Das oberste Brett, das an das Kielschwein anschließt und etwas breiter als die anderen ist, ist genau unter der Endkante des Kielschweins abgerissen. Das dritte Brett von unten (das zweite von unten auf diesem Bild) zeigt eine glatte, zylindrische Aussparung, offenbar eine leergebrochene Aststelle. (Rechts und links neben dem Kiel liegen Balken des Hörnumer Hafens, die mit dem Schiff nichts zu tun haben.)
 
 
Bild oben: Wie voriges Bild. Detailaufnahme des Kielbruches, gesehen von Steuerbord und von Achtern. Zunächst muß festgestellt werden, daß für den Kiel Bretter minderer Qualität benutzt wurden, wie Aststellen zeigen. Bei Nummerierung von unten nach oben, sind die Bretter Nr. 2, 3, 4 und 8 an derselben Stelle auf der Längsachse des Kiels gerissen. Die Bretter Nr. 2, 3 und 4 sind nicht nur an derselben Stelle gerissen, sondern auch in Längsrichtung bugwärts gesplittert, wodurch sich Brett Nr.4 teilweise an der Stoßfuge zum bugwärts anschließenden Brett gelöst hat. Die Bretter Nr. 1, 4, 5, 6 und 7 haben Stoßfugen an nahezu derselben Stelle auf der Längsachse des Kiels. Dies bedeutet, daß nur drei Bretter, nämlich Nr. 2, 3, und 8, an dieser Stelle nahezu alleine den Kiel zusammenhalten mußten. Die unmittelbare Nähe dieser Stelle zum achterwärtigen Ende des Kielschweins (siehe voriges Bild) bedeutete, daß sie durch den Mast besonders belastet war: a) Druck des Mastes senkrecht auf Kielschwein und Kiel durch Mastverspannung (Rigg), b) Biegebewegung von Kiel und Rumpf um das achterwärtige Ende des Kielschweins durch Zug des Mastes am achterseitigen Rigg nach vorn solange Segel gesetzt ist. Die notwendige Folge dieser Umstände war, daß der Kiel bereits bei geringem Seegang, vielleicht ab einer Wellenhöhe von 2 m zerreißen mußte. In der Tat zeigt das Bild, daß kein Knickbruch vorliegt, wie er bei einem Zusammenstoß oder bei Grundberührung erfogt wäre. Stattdessen handelt es sich um einen reinen Rißbruch, verursacht durch Zugkräfte in der Längsachse des Kiels, die bei Seegang ständig auftreten und die in den folgenden beweglichen Bildern veranschaulicht werden.
 
 

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    Einseitiges Anheben des Vor- oder Achterschiffes bewirkt Zugspannung im Kiel. Hat der Kiel eine extreme Schwachstelle, wie bei der Ormen Friske, wird er schon bei geringem Seegang von der auftretenden Zugspannung auseinander gerissen. Werden, wie in diesen Fall, auch noch Kräfte des Mastes über das Kielschwein (KS) auf die Schwachstelle gelenkt, zerreißt der Kiel noch eher.
 
Zeugenaussage von einem der sechs Bootsbauer Danksagung
Zeugenaussage zum Einfluß der Bombardierung Helgolands

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