Am 9.7.1950, also 14 Tage seitdem die vordere Hälfte der Ormen
Friske auf dem Hafengelände von Hörnum an der Südspitze
der Insel Sylt zu besichtigen war, erschien der Hörnumer Fischer
Wilhem Lass bei dem Hafenmeister des Ortes, C. Kühl, und machte
eine Zeugenaussage (Verklarung) zu dem Unglück. Seine Aussage versucht
die Schuld an der Katastrofe auf die Tatsache zu lenken, daß im
fraglichen Zeitraum die Nordseeinsel Helgoland von der britischen oder
amerikanischen Lufftwaffe als Übungsziel für Bombenabwürfe
genutzt wurde.
Die nachfolgenden Bombentheorien wurden von der Gesamtheit der Fischer
der deutschen Nordseeküste und von der sehr aktiven Helgolandbewegung
aufgegriffen und trugen maßgeblich dazu bei, daß 1952 die
britische Regierung Helgoland den Deutschen zurückgab. Für
alle, die direkt oder indirekt mit der Ormen Friske zu tun hatten, waren
die Bombentheorien eine höchst willkommene Ehrenrettung. Die bekannten
schweren Baumängel des Schiffes, unzureichende Planung und Ausrüstung
der Reise, und insbesondere alle Fragen der Haftung und Verantwortung
konnten so erfolgreich in den Hintergrund gedrängt werden.
Eine kritische Prüfung der Zeugenaussage
hätte jedoch sofort zeigen müssen, daß sie aus mehren
Gründen unglaubhaft und - vor allem - aus rein technischen Gründen
nicht mit den gegebenen Tatsachen vereinbar war:
1) Erst 14 Tage, nachdem Lass das Wrackteil in seinem Heimathafen gesehen
hatte und das Unglück ausführlich in der Presse behandelt
worden war, kommt er auf die Idee eine Aussage zu machen.
2) Mehrere Formulierungen in der Aussage lassen vermuten, daß
es Lass in erster Linie darum ging, auf die für ihn und seine Kollegen
unhaltbaren Zustände in und um Helgoland aufmerksam zu machen.
3) Gustav Wellnitz, der angab, dasselbe gesehen zu haben wie sein Chef
Lass, wurde nicht verhört. Der Hafenmeister Kühl erlaubte
ihm, eine pauschale Bestätigung
der Aussage seines Chefs abzuliefern.
4) Lass hatte zum Zeitpunkt der Beobachtung die äußere Kaimauer
des Helgoländer Hafens und fliegende Gischt auf einer Distanz von
1200 Metern zwischen sich und dem angeblichen Boot.
5) Weil es in der damaligen Nachkriegszeit keinerlei Seemarkierung der
Südeinfahrt zum Helgoländer Hafen gab, war es von Land aus
überhaupt nicht zu sehen, ob sich ein Schiff innerhalb oder außerhalb
der schmalen Südeinfahrt befand. Denn die Fahrtrinne verläuft
nicht geradlinig auf den Hafen zu, sondern abgewinkelt.
6) Die Aussage von Lass, daß er das Schiff bei Windstärke
11 "quer zur See" gesehen habe, beschreibt einen Zustand der
technisch nicht möglich ist. Bei dem gegebenen Seegang wäre
das Boot, falls quer zur See, sofort voll Wasser geschlagen.
7) Die Aussage von Lass, daß er das Schiff bei Windstärke
11 "unter Segel" gesehen habe, beschreibt einen Zustand der
ebenfalls technisch nicht möglich ist. Schon bei geringerer Windstärke
hätte das Segel so weit gerefft werden müssen, daß es
bei den gegebenen Verhältnissen nicht mehr als Segel sichtbar gewesen
wäre.
8) Zwei technische Beweisstücke deuten darauf hin, daß zum
Zeitpunkt der angeblichen Beobachtung von Lass die Ormen Friske bereits
seit 5 bis 6 Stunden zerbrochen war:
A) Das Segel wurde intakt und ungerefft aufgefunden. Dies deutet auf
einen Bruchzeitpunkt, der vor dem Erreichen der Windstärke 7 oder
8 liegt, und somit lange vor der angeblichen Beobachtung von Lass.
B) Die Armbanduhr des Besatzungsmitglieds Sven Åke Persson, dessen
Leiche gefunden wurde, war um fünf vor sieben wegen Uhrwerkschaden
stehen geblieben. Gegen 7 Uhr am Morgen des 22.6. war die Ormen Friske
einem zunehmenden Seegang ausgesetzt, der zu diesem Zeitpunkt Wellenhöhen
von 2 bis 3 Metern erreichte. Ein Bruch des Schiffes gegen 7 Uhr morgens
am 22.6., und somit 6 Stunden vor der angeblichen Beobachtung von Lass,
entspräche somit genau dem, was wegen der extrem herabgesetzten
Belastbarkeit des Kiels als zwangsläufige Folge bereits vorherbestimmt
war.